Im Mittelpunkt eines rezenten „Wort“-Artikels von Nadine Schartz stand die Flussperlmuschel-Zuchtstation von Kalborn, deren Anfang auf das Jahr 2007 zurückgeht. Hier erfährt der Leser, dass diese Muschelart einst in ganz Europa weit verbreitet war, ihr Bestand sich jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts um 90 Prozent verringert habe. Auch in Luxemburg sei die Population mehr und mehr zurückgegangen, sodass diese Art schließlich nur noch in der Our zu finden war. Wurden 1985 noch etwa 3.000 erwachsene Flussperlmuscheln dort gezählt, waren es 2008 nur noch 150. Als das Projekt begann, lebten nur noch wenige, alte Tiere in der Our.
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Flussperlmuschel (Brehms Tierleben, Wikimedia)
In seiner „Faune des mollusques terrestres et fluviatiles du Grand-Duché de Luxembourg“, die 1902 veröffentlicht wurde, schreibt der luxemburgische Zoologe Victor Ferrant (1856-1942), die Flussperlmuschel komme ausschließlich in den schnell fließenden und kalten Bächen des Öslings vor, wo sie sehr verbreitet (très commune) sei (Ferrant 1902).
Dass sogar über eine wirtschaftliche Verwertung der Flussmuscheln nachgedacht wurde, davon zeugt der folgende, leicht angepasste Auszug aus meinem Artikel über den luxemburgischen Sportfischer, Fischexperten und Ehrenmitglied der „Fauna“ (Société des naturalistes luxembourgeois, SNL) Jean-Pierre Moris (1836-1902), der 2017 im Bulletin der SNL veröffentlicht wurde (Massard 2017: 25-26).
Perlen aus Luxemburg?
In der Wanderversammlung der „Fauna“ vom 23. September 1900 in Remich zeigt Jean-Pierre Moris im Ösling gesammelte Schalen der Flussperlmuschel (Margaritana margaritifera = Margaritifera margaritifera) sowie ein 15 x 7,5 x 4 cm großes lebendes Exemplar von Anodonta mutabilis var. cellensis Schroeter (= Anodonta cygnea, Große Teichmuschel) aus den „Laachen“ (Laach = feuchte Wiese) von Roeser (Gemeinde Roeser, Luxemburg): der Mollusk sei dort in großer Anzahl in zwei Meter Tiefe vorhanden, und einzelne Exemplare seien noch größer gewesen als das vorgezeigte. Da zwei oder drei Individuen ihre Schale geöffnet hatten, hielt Moris einem der Tiere eine Haselrute in die offene Schale, worauf es diese schloss, und konnte so mit der eingeklemmten Rute herausgezogen und lebend mitgenommen werden. In der Ruwer bei Trier, fügt Moris hinzu, gebe es ein „gruppenweises Vorkommen“ dieser Muschelart (SNL 1900: 209).
Die vorgezeigten Öslinger Flussperlmuschel-Schalen liefern den versammelten „Faunisten“ den Anlass zu einer animierten Diskussion über eine mögliche wirtschaftliche Verwertung dieses Vorkommens (SNL 1900: 210).
Professor Edmond J. Klein (1866-1942) führt aus, dass er in letzter Zeit mehrfach von Vereinsmitgliedern befragt worden sei, ob eine Ausbeute der Perlen der im Norden des Landes nicht seltenen Muschel nicht rentabel sei. In Bayern werde dieselbe nämlich rationell betrieben und gebe ihre Zinsen. Die vorgebrachten Anfragen, fährt Klein fort, würden wohl meist auf dem Umstande fußen, dass in letzter Zeit von privater Seite viele der Muscheln erbeutet worden seien, um auf Perlen untersucht zu werden. Aus den hierbei erzielten Resultaten deduziert Klein, dass an eine gewinnbringende Bewirtschaftung der Bestände nicht zu denken sei.
Auf die Frage, ob denn die Perlmutterschicht nicht in der Knopffabrikation usw. Verwendung finden könne, gibt Klein zu bedenken, dass das Vorkommen nicht ausreiche, um die Anlage einer eigenen Fabrik an Ort und Stelle zu rechtfertigen und dass der Transport nach dem Auslande mehr Kosten verursache, als Gewinn zu erwarten sei. Ein rentables Unternehmen könne er sich nicht auf dieses Vorkommen aufgebaut denken, außer, dass man bei dem relativ starken Fremdenverkehr in den Ardennen die Perlmuscheln, mit Miniaturen versehen oder in ähnlicher Weise ausstaffiert, als Andenken verkaufen wolle wie dies z. B. in den Ortschaften an der Küste üblich sei.
Der Chemiker Louis Blum (1858-1920) regt an, die Öslinger Molluskenschalen zur Herstellung von Perlmutter heranzuziehen, ähnlich wie zu diesem Zwecke die „Giwen“ (Weißfische) geschuppt würden (gemeint ist die Ukelei, Alburnus alburnus = Cyprinus alburnus = Aspius alburnus = Alburnus lucidus). Man gewänne so, wenn auch nicht kostbare „perles fines“, so doch ansehnliche Perlen und billiges Perlmutter. Dem hält Klein erneut entgegen, das Material sei den Transport zu den Fabriken nicht wert.
Diese Diskussion fand nicht nur in der Vereinsschrift sondern auch im „Luxemburger Wort“ ihren Niederschlag, wobei der Autor des Artikels mit dem Titel „Perlenerzeugende Schaltiere im Luxemburger Lande“ fälschlicherweise verstanden hatte, die vorgezeigte Perlmuschel habe Moris aus dem „Röserthal“ mitgebracht (eine Verwechslung mit Anodonta, siehe oben) (LW 1900-09-29, siehe auch: LW 1900-09-26).
In der Sitzung in Remich kam auch noch eine Anfrage des Clerfer Kaufmanns Kratzenberg, Mitglied der „Fauna“ seit Juni 1899, zur Sprache. Dieser hatte sich an den Verein gewandt, um durch dessen Vermittlung der Ausbeutung der einheimischen Schalentieren Einhalt zu bieten. Er erhielt als Antwort, die „Fauna“ bedauere sehr den schonungslosen Vertilgungsfeldzug gegen die einheimischen Muscheln, könne aber leider nichts dagegen tun, da weder die Muscheln noch die Öslinger Bäche ihr gehörten. Was die „Fauna“ tun könne, sei eine Ausnutzung der „toten“ Muscheln in obigem Sinne als Andenken anzuregen; gegen die Raubausbeutung der „lebenden“ Muscheln auf Perlen aber könne sie nicht mehr als „einen gelinden Protest“ erheben (SNL 1900: 210, LW 1900-09-29).
Beim obigen Clerfer Kaufmann handelt es sich um den ehemaligen Schlossverwalter Heinrich Joseph Kratzenberg, am 17. Juni 1841 in Friesenrath (damals Preußen, heute ein Ortsteil von Aachen) geboren, im August 1871 mit Régine Koener (der Tochter des Clerfer Metzgers und Gastwirts Mathias Koener) verheiratet, im August 1877 naturalisiert, am 20. Juni 1924 in Clerf gestorben, Vater einer zahlreichen Kinderschar, darunter der spätere Gymnasialprofessor und Nazi-Kollaborateur, Vorsitzender der Volksdeutschen Bewegung (VdB), Damian Kratzenberg (1878-1946).
In der Generalversammlung der „Fauna“ im Dezember 1900 zeigt Moris eine bei Eisenbach an dem Ufer der Our gefundene Flussperlmuschel mit einer weißlichen, abnorm dicken Schale; sie stamme von einem kranken Tier, meinte Moris, das zwar alt geworden, aber klein geblieben sei, und Kalk genug produziert habe, um eine dem Alter entsprechend große Schale in gehöriger Dicke zu liefern (SNL 1901: 4).
Quellen
Ferrant, Victor, 1902. Faune des Mollusques terrestres et fluviatiles du Grand-Duché de Luxembourg. Luxembourg, M. Huss, 232 p.
LW, 1900. Luxemburger Wort 1900-09-26: 2, Nr. 268 (Remich, 23. September); LW 1900-09-29: 1, Nr. 271/272, 2. Blatt (Perlenerzeugende Schaltiere im Luxemburger Lande).
Massard, J. A., 2017. Jean Pierre Moris (1836-1902), Fischereiexperte und Ehrenmitglied der „Fauna – Société des naturalistes luxembourgeois“. Bulletin de la Société des naturalistes luxembourgeois 119: 3-37. https://massard.info/pdf/SNL_2017_119_003_037.pdf
Schartz, Nadine, 2022. Für saubere Gewässer. In der Kalborner Mühle werden Flussperl- und Bachmuscheln gezüchtet – dies für einen besonderen Zweck. Luxemburger Wort 2022-08-29: 26.
SNL, 1900. [Sitzungsberichte 1900]. Bulletin de la Société des naturalistes luxembourgeois 10: 205-214 (23. Sept., Wander-Versammlung zu Remich).
SNL, 1901. General-Versammlung vom 16. Dezember 1900. Bulletin de la Société des naturalistes luxembourgeois 11: 2-5.