In der August-Ausgabe des Echternacher Gemeindeblatts ist die Ansprache, die der Echternacher Bürgermeister anlässlich des Nationalfeiertags 2020 gehalten hat, veröffentlicht worden. Sie stand im Zeichen des Coronavirus und dessen Auswirkungen auf Land und Leute. Dass hierbei auch das diesjährige Ausfallen der Springprozession nicht unerwähnt bleiben konnte, liegt auf der Hand. „Fir eis Iechternacher war et och ganz schwéier ze akzeptéieren, dass mir ons Sprangprozessioun net wéi gewinnt konnten ofhaalen“, hieß es einleitend. Und daran schloss sich folgende Überlegung an: „Eppes wat net emol den zweeten Weltkrich fäerdeg bruecht huet, dat huet e butzegen Virus fäerdeg bruecht.“ [1]

Das winzige Virus hätte also etwas zustande gebracht, was dem Zweiten Weltkrieg – den Nazis also — nicht gelungen sei, nämlich die Unterdrückung der Springprozession. So als ob sie von 1940 bis 1944 ungehindert stattgefunden hätte! Ein Gedanke, zu dem man sich verleiten lassen konnte durch einen Artikel im „Luxemburger Wort“ mit dem bei schneller Lektüre leicht irreführenden Untertitel „Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg fällt die Springprozession aus. – Damals fand sie den Besatzern zum Trotz statt“. [9] Das klingt in der Tat so, als ob der Krieg der Springprozession nichts hätte anhaben können. In das andere Extrem fällt die aktuelle deutsche Wikipedia-Version, wo es heißt: „Die einzige Perioden der jüngeren Geschichte, in der die Prozession nicht stattfinden konnte, waren die Zeit der deutschen Besatzung 1940–1944 während des Zweiten Weltkriegs und 2020 während der Corona-Pandemie.“ [10]

Pfingstdienstag 1940

Der Pfingstdienstag 1940 fiel auf den 14. Mai. Vier Tage zuvor hatten Hitlers Truppen das neutrale Luxemburg überfallen und besetzt. Der dicht besiedelte Süden des Landes war inzwischen komplett evakuiert worden, der größte Teil nach Frankreich, der Rest ins Innere des Landes. Der öffentliche Verkehr war lahmgelegt. Die Straßen der Abteistadt waren für die deutschen Militärkolonnen frei zu halten. Eine Springprozession mit ihren Tausenden von Springern und Zuschauern wie man sie noch am 30. Mai 1939 in Echternach bewundern konnte, war also undenkbar.

„Die Echternacher Springprozession mußte in diesem Jahre notwendigerweise eine gewaltige Einschränkung erfahren“, berichtet das Luxemburger Wort am 17. Mai, „da die Kriegsereignisse und die Unterbrechungen im Verkehr das Ausbleiben aller Auswärtigen bedingten. Nichtsdestoweniger waren aus den Nachbargemeinden manche Pilger nach dem Sauerstädtchen gekommen, um sich an der traditionellen Springprozession zu beteiligen. Der Umzug selbst konnte selbstverständlich nicht den weiten Weg wie in den Vorjahren zurücklegen, er erhielt nur die Ausmaße eines symbolischen Aktes und bewegte sich vom Hofe der Abtei aus zur Kirche, wo die Springer am Grabe des Heiligen defilierten.“ [2]

Eine detaillierte Darstellung der damaligen Geschehnisse liefern die Artikel, die Emile Seiler 2002 und 2014 in der „Warte“ veröffentlicht hat. [3, 5] Weitere Zeugnisse sind im oben erwähnten „Wort“-Artikel enthalten. [9]

Pfingstdienstag 1941

Der Pfingstdienstag 1941 fiel auf den 3. Juni. Inzwischen war das Land fest in der Hand der Nazis. Gauleiter Simon erließ ein ausdrückliches Verbot der Springprozession. „Auch in eingeschränkter Form, wie sie noch im vergangenen Jahr auf kircheneigenem Gelände durchgeführt wurde“, sei sie verboten. Nur die normale Morgenmesse, die um 7.15 Uhr begann, war erlaubt.

Im weiteren Verlauf des Morgens versammelten sich immer mehr Menschen im Abteihof, darunter auch viele Jugendliche. Diese Menschenmenge bewegte sich irgendwann nach neun Uhr betend bzw. singend (nicht springend) aus dem Abteihof hinaus in Richtung Vulpert und Basilika, wo sich inzwischen bereits viele Pilger zusammengefunden hatten, um dort zu beten. Auf einmal intonierte ein junger Mensch den Prozessionsmarsch auf seiner Mundharmonika, und die Menschen begannen aus der Krypta heraus durch die Seitenschiffe der Kirche zu springen, angefeuert von weiteren Musikanten, die eilends ihre Instrumente herbeigeholt hatten. Es sollte nicht lange dauern, bis das Auftauchen von Gestapo- und SS-Leuten dem frommen Geschehen ein jähes Ende bereitete. Für sieben der meist jugendlichen Musikanten gab es ein Nachspiel: Sie wurden zwei Tage danach von der Gestapo verhaftet und in Luxemburg-Stadt in der Villa Pauly einem schmerzhaften Verhör unterzogen.

Pfingstdienstag 1941, Echternach, Gruppe junger Mädchen, die singend vom Abteihof kommend durch die (heute verschwundene)  äußere Pforte des Abteikomplexes über den Vulpert zur Basilika ziehen.
Foto: Jos Artois, Sammlung: André Hartmann

Wie schon 1940 gibt es in den Zeugnissen über die Ereignisse am Pfingstdienstag 1941 in der Echternacher Basilika leicht unterschiedliche Darstellungen, die ihren Niederschlag bei Emile Seiler [3, 5] und in den Erinnerungen des späteren Echternacher Bäckermeisters Marcel Lorenz, der einer der verhafteten jungen Musikanten gewesen war, gefunden haben. [8] Ein rezentes Zeugnis stammt von dem heute 93jährigen René Rechtfertig. [9]

Pfingstdienstag 1942 bis 1944

Wäre es nach Amtsbürgermeister Stock gegangen, so wäre die Basilika am Pfingstdienstag 1942, dem 26. Mai, ab acht Uhr morgens geschlossen gewesen. Dechant Biermann verhinderte dies mit dem Hinweis, dies könnte von der Bevölkerung als Provokation verstanden werden. Die Menschen kamen also in die Kirche hinein, mit dem Springen war es aber vorbei. Das war auch 1943 und 1944 der Fall. [4, 5]

Pfingstdienstag 1945

Nach dem Krieg, am Pfingstdienstag, dem 22. Mai 1945, konnte die Springprozession erstmals wieder stattfinden, allerdings mit einem abgeänderten Programm angesichts der schweren Schäden, die der Krieg in der Abteistadt hinterlassen hatte. Sie begann nicht wie das seit 1938 der Fall war im Abteihof [11], durch den jetzt die von den Amerikanern angelegte Zufahrt zur Behelfsbrücke über die Sauer führte, sondern an der zerstörten Sauerbrücke. Sie endete in der notdürftig reparierten Pfarrkirche, wo man den Hochaltar mit dem leeren Holzsarkophag des hl. Willibrord umrundete. Die Basilika mit dem eigentlichen Sarkophag lag ja in Trümmern. [6, 7, 9]

Quellen

[1] Wengler Yves: Ried Nationalfeierdaag 2020. Eechternoacher Gemäneblat 8/2020, S. 10. [PDF]
[2] Lokalchronik. Echternach, 16. Mai. Luxemburger Wort 1940-05-17: 3. [PDF]
[3] Emile Seiler: Die Springprozession unter der Naziherrschaft (I). Die Warte 2002-05-16, S. 1-2.
[4] Emile Seiler: Die Springprozession unter der Naziherrschaft (II). Die Warte 2002-05-30, S. 3-4.
[5] Emile Seiler: Zur Geschichte der Springprozession: Die Kriegsjahre 1940–1944. Die Warte 2014-06-05, S. 7-9.
[6] Emile Seiler: Zur Geschichte der Springprozession: Denkwürdige Prozession inmitten von Ruinen. Erste Springprozession nach Kriegsende. Die Warte 2014-11-06, S. 7-10.
[7] Prozession zwischen Ruinen. Die diesjährige Springprozession in Echternach ein unvergeßliches Erlebnis. Luxemburger Wort 1945-05-23, S. 2. [PDF]
[8] Marcel Lorenz: D’Eechternoacher Sprangprozessioun 1941. Erënnerungen voan äm deemols 15 Jäierigen. In: Annuaire de la ville d’Echternach 2001, S. 73-82.
[9] KNA: Widerstand im Kleinen: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg fällt die Springprozession aus. – Damals fand sie den Besatzern zum Trotz statt. Luxemburger Wort 2020-05-29, S. 27.
[10] Echternacher Springprozession. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. [Datum des Abrufs: 12.08.2020]. [Online]
[11] Pierre Kauthen: La procession dansante dans la 1re moitié du 20e siècle. In: Willibrord, Apostel der Niederlande, Gründer der Abtei Echternach, herausgegeben von Georges Kiesel und Jean Schroeder, Luxemburg 1989, S. 255.

Anmerkung

Emile Seiler hat über die Jahre in der „Warte“ zahlreiche Artikel über die Geschichte der Springprozession veröffentlicht. Es wäre wünschenswert, diese Artikel in Buchform zu bündeln und somit deren Zugang zu vereinfachen. Ein gedrucktes Monument für die zum immateriellen Kulturerben der Menschheit emporgerückte Echternacher Springprozession! Dasselbe gilt auch für die Artikel von Pierre Kauthen. Wäre das nicht eine ehrenvolle Aufgabe für die Echternacher Gemeinde oder den Willibrordus-Bauverein, oder für beide zusammen?

Anhang

Die Springprozession in Echternach. In: Luxemburger Wort, 1936. Jg., nº 155 (03.06.1936), S. 4.
Pfingstdienstag 1937 in Echternach. In: Luxemburger Wort, 1937. Jg., nº 139 (19.05.1937), S. 17.
Der Ehrentag des Landesheiligen. In: Luxemburger Wort, 1938. Jg., nº 159 (08.06.1938), S. 4.
Willibrordusfeierlichkeiten. In: Luxemburger Wort, 1939. Jg., nº 140&141 (20.05.1939), S. 5.
Die Echternacher Springprozession Pfingsten 1939. In: Escher Tageblatt, 1939. Jg., nº 127 (01.06.1939), S. 3.

Danksagung

Ich möchte mich bei den Kollegen Frank Wilhelm, René Thill, Pierre Kauthen und André Hartmann für ihren jeweiligen Beitrag zu diesem Post bedanken.